Ein See voll menschlicher Asche, ein Etui aus Menschenhaut
Schüler und Lehrer des St.-Michael-Gymnasiums Bad Münstereifel berichten bei der Ausstellungseröffnung über ihre Fahrt ins Konzentrationslager Auschwitz.
Bad Münstereifel – Eine solche Stille erleben Lehrer des St.-Michael-Gymnasiums sonst wohl nur an einem heißen Sommertag in der 6. Stunde Mathe, wenn die Schüler selig dahindämmern und sich bereits an den nächsten Baggersee träumen. Doch die Ruhe im Klausurraum der Bad Münstereifel Schule an diesem speziellen Dienstag ist anders. Als Schüler und Lehrer über ihre gemeinsame Fahrt berichten, legt sich eine gespannte Stille über die rund 60 Besucher.
Eine Totenstille, könnte man sagen. Denn sie gilt Berichten über das millionenfache Morden an Juden im Holocaust. Die Schüler träumen sich nicht an einen Baggersee, sondern sie sehen wieder Bilder eines Sees im Vernichtungslager Birkenau vor ihrem geistigen Auge – einen See genährt mit der Asche von Tausenden Toten, die Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns geworden sind.
„Fischfutter“, sagt die Schülerin Eda Meral sichtlich betroffen, „als ich die Frau, die uns über das Gelände geführt hat, gefragt habe, warum die Nazis die Asche in den See geschüttet haben, sagte sie »Fischfutter«“.
Markus Ramers hat nicht nur als Lehrer die Reise begleitet, sondern als Vorstand der KSK-Bürgerstiftung auch mit finanziert. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
Die große Frage „Warum?“ war es immer wieder, die sich die 46 Schüler und vier Lehrer des Michael-Gymnasiums auf ihrer gemeinsamen Fahrt zum Konzentrationslager Auschwitz und dem Vernichtungslager Birkenau stellten. Es war keine gewöhnliche Klassenfahrt für die Schüler, die sich gerade auf das Abitur vorbereiteten, sondern eine freiwillige Fahrt in den Osterferien, die Finanzierung anfangs ungeklärt, wie Schüler und Lehrer bei der Ausstellungseröffnung über ihre Fahrt berichten. Über eine Fahrt, die alle Reisenden zu Zeitreisenden machte, die bisweilen an ihre emotionalen Grenzen stießen.
„Ich hatte die Bilder aus Auschwitz schon alle im Geschichtsbuch gesehen“, berichtet Eda. Aber schon als sie im Hotel ankam, merkte sie, dass eine Reise zu den Zeugnissen der Geschichte etwas anderes war. „Durch das Hotelfenster sah ich das Stammlager. Da war die Scheibe aber noch ein emotionaler Schutz.“ Auf die Eindrücke am nächsten Tag beim Besuch des KZs war sie aber nicht vorbereitet: „Was ich im Stammlager gesehen habe, ist nicht beschreibbar. An den Wänden hingen Hunderte Bilder von Lagerinsassen, die mich aus unschuldigen Augen ansahen.“ Das Entsetzen über das Schicksal dieser Menschen steht Eda Meral immer noch ins Gesicht geschrieben.
Nicht nur die Schüler sind auch Wochen nach der Fahrt immer noch tief beeindruckt. Der Geschichtslehrer Michael Mombaur weiß alles über diesen Ort, ihn zu erleben, geht viel tiefer. Er berichtet über den KZ-Arzt Mengele, der bei der „Selektion“ der Deportierten per Handwink über sofortigen Tod oder vorherige Zwangsarbeit entschied: „Er pfiff dazu gerne klassische Musik.“ Es sei sehr emotional gewesen, die Schüler an einen so schwierigen Ort mitzunehmen. Die Ausstellung empfindet der Lehrer als wertvolle Auseinandersetzung mit den Schrecken des Nationalsozialismus und dem auf der Fahrt Erlebten: „Die Schüler wollen eine bessere Welt und setzen sich dazu mit der Vergangenheit auseinander. Was kann es als Lehrer Schöneres geben, als das zu begleiten?“
Der Lehrer Markus Ramers: „Das war keine normale Fahrt, wie man sie als Lehrer mit Schülern unternimmt. Wir haben auf dem Hinweg auf Schülerwunsch einen Zwischenstopp in Weimar eingelegt, dem Leuchtturm der kulturellen Geschichte Deutschlands.“ In Auschwitz angekommen dann der Abgrund deutscher Geschichte: „Wir sahen einen ganzen Raum voller Menschenhaare – es gab immer wieder Momente, an denen wir wirklich an unsere Grenzen gelangten.“
So ging es auch Eda, als sie an einem eiskalten, regnerischen Tag mit ihren Klassenkameraden und Lehrern mit voller Wucht das Vernichtungslager Birkenau erlebte. „Ich hatte drei Jacken und dicke Stiefel an, habe mir einen langen Schal mehrfach um den Kopf und das Gesicht gewickelt, um mich vor der Kälte zu schützen.“ Aber gegen die Kälte Birkenaus konnte sie sich nicht schützen, sie ging ihr bis ins Mark. Sie berichtet, wie sie an die Häftlinge denken musste, die in fadenscheiniger Häftlingskleidung, kahlgeschoren und mit dürftigem Schuhwerk in den Baracken hausen mussten. „Ich habe mich dann so geschämt, dass ich den Schal abnahm.“
Sichtlich betroffen berichteten die Schüler Andie Ruster (v.l.), Julia Mahlberg und Sabrina Hoffmann von ihren Erlebnissen auf ihrer Fahrt nach Auschwitz. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
Markus Ramers war noch in zweiter Funktion bei der Ausstellungseröffnung dabei, als Vorsitzender der Bürgerstiftung der Kreissparkasse Euskirchen. Die hatte ebenso wie die Stiftung „Erinnern ermöglichen“ die Fahrt mit einem guten vierstelligen Betrag unterstützt. Doch kein plakativer Scheck wurde übergeben, keiner mochte an diesem Abend über profane Zahlen sprechen. Der Schüler Andie Ruster war es, der den Stiftungen für ihre Unterstützung dankte und eine Herzensbitte aussprach: „Ich hoffe, dass die Stiftungen weiteren Generationen solche existenziellen Erlebnisse ermöglicht.“
Eine andere Zahl war es, die Eda Meral aussprach: „Elf. Diese Zahl werde ich nie mehr vergessen, denn Block elf war der Todesblock.“ Eine Million Juden wurden in Auschwitz ermordet. Schockierend die Perfektion, mit der die Nazis dies getan haben. „Die haben an alles gedacht. Ich dachte, wie konnten die Menschen das aushalten, ich hätte mich umgebracht.“ Doch die Juden hatten nichts, um sich umzubringen, ging ihr auf. „Sogar der elektrische Zaun, in den sie sich hätten werfen können, war mit einem weiteren Zaun abgesperrt.“
Helene Hammelrath von der Stiftung „Erinnern ermöglichen“ hat die Fahrt begleitet und war eigens zur Ausstellungseröffnung angereist: „Diese engagierten jungen Menschen setzen mit ihrer Ausstellung ein Zeichen, damit die Menschen, die im Holocaust so unglaublich leiden mussten, nicht vergessen werden.“ Einen der schockierendsten Momente habe sie im Schindler-Museum erlebt: „Da war ein Zigarettenetui ausgestellt. Drauf stand: »Aus echter Menschenhaut«.“
Zwei Schüler haben ein Videotagebuch erstellt, in dem sie sich allabendlich zusammen filmten: „Wir kommen gerade aus Birkenau, heute stehe ich allein vor der Kamera, meinem Freund geht es gerade nicht so gut, aber ich will das Erlebte berichten.“ Betroffen sieht er aus, schwenkt von seinem Gesicht auf die Bauten des Vernichtungslagers. Kein großspuriges Getue, wie es junge Männer so gerne zu Markte tragen, Betroffenheit zeigt er.
Ramers: „Es ist sehr schwer, Auschwitz zu verstehen. Aber man kann daraus lernen. Auschwitz ist nicht so weit weg, wie man denkt, Ausgrenzung findet jeden Tag statt.“ Die Fahrt aber führte zu mehr Gemeinschaft, wie die Schüler berichten, nicht nur untereinander: „Die Lehrer waren plötzlich jemand, in dessen Arm man sich ausheulen konnte.“ Mombaur : „Was wird dort erlebt haben, war mehr wert als ein Jahr Unterricht.“ Trotz der schwierigen Auseinandersetzung mit der Geschichte ziehen die Schüler und Lehrer ein positives Fazit. Oder, wie es Andie Rust in einem Erlebnis beschreibt: „Nach dem langen Gang durch Birkenau bei Regen und Kälte kamen wir an den Ruinen des Krematoriums an. Dahinter beginnt direkt der Wald, Vögel sangen. Selbst da ist Leben möglich.“
Die Ausstellung ist noch am Freitag, 6. Juni, von 8.20 Uhr bis 13.30 Uhr für die Öffentlichkeit zugänglich. Gezeigt werden Ausschnitte aus den Reisetagebüchern der Schüler, Fotos, Ausschnitte aus dem Videotagebuch und künstlerische Umsetzungen.