Ein Leben für Frauenrechte
Die Wachendorferin Brigitte Siegel nahm am Freitag den Margaretha-Linnery-Preis als „Frau des Jahres 2016“ entgegen – „Anpackend statt theoretisierend“.
Euskirchen – Sie wird von Weggefährtinnen als Anpackerin, Powerfrau, Anschieberin bezeichnet und setzt sich seit den 1960er Jahren für Frauenrechte ein: Brigitte Siegel aus Mechernich-Wachendorf nutzte ihre Auszeichnung durch den Arbeitskreis Frauen im Kreis Euskirchen als „Frau des Jahres 2016“ mit dem Margaretha-Linnery-Preis am Freitagabend im Alten Rathaus Euskirchen, um aufmerksam zu machen. Nicht auf sich, sondern auf Missstände, die auch im 21. Jahrhundert in einem der fortschrittlichsten Länder der Erde noch immer nicht ausgeräumt sind.
Die Preisträgerin des Margaretha-Linnery-Preises „Frau des Jahres 2016“: Brigitte Siegel. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
So könne sie am Abend der Verleihung, der am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen stattfand, nicht versäumen, auf die für viele unglaublichen Fälle von häuslicher Gewalt einzugehen: „Erst vergangene Woche hat ein Mann in Hameln seine Frau an die Anhängerkupplung seines Wagens gefesselt und sie dann hinter dem Wagen hinterhergeschleift. Sie hat nur überlebt, weil das Seil gerissen ist.“
Rita Witt, Direktorin des Vorstandsstabes der Kreissparkasse Euskirchen (KSK), sagte in ihrem Grußwort, dass trotz positiver gesellschaftlicher Entwicklung noch viel zu tun sei: „Dies zeigt auch die aktuelle Diskussion um die Frauenquote in öffentlichen Unternehmen und die Regelungen dazu. Auf die – mit der Brille eines sozial fortschrittlichen Landes betrachtet – unhaltbaren Zuständen, unter denen viele Frauen in unterschiedlichen Teilen der Erde immer noch oder wieder leiden, möchte ich hier gar nicht weiter eingehen.“
In Anspielung auf das Leitbild ihrer Unternehmensberatung „Brot & Rosen“, die auf eine Frauenrechtsbewegung in den USA 1912 zurückgeht, überreichte Rita Witt (v.l.), Direktorin KSK-Vorstandsstab, der Preisträgerin Brigitte Siegel eine süße Variante des Namens. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
Witt lobte die Unternehmensberaterin für Frauen für ihren besonderen Einsatz: „Ihre Arbeit ist sehr wichtig, denn der Schlüssel zur Selbstbestimmung und zum Erfolg, gerade von Frauen, ist eine gute Bildung und Qualifikation.“ Karin Stottmeister vom Arbeitskreis Frauen moderierte den Abend und sagte, dass mit der Preisverleihung jedes Jahr gleich zwei Frauen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden sollen. Denn die Preisträgerinnen erhielten immer ein individuell gestaltetes Kunstwerk einer Künstlerin aus dem Kreis Euskirchen. In diesem Jahr hatte Maf Räderscheid ein Gemälde als Preis angefertigt.
Musikerin Martina Neeschen (hinten links) brachte mit ihrem mitreißenden musikalischen Rahmenprogramm den Saal zum Toben, Lachen, Mitfühlen und sogar Walzer tanzen. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
Obwohl sowohl die Redner wie die Preisträgerin schwierige Themen ansprachen, war es doch kein düsterer Abend. Die gemeinsame Freude und auch Lust an Themen rund um das Frau-Sein, ohne dabei Männer auszugrenzen, überwog. Siegel: „Jeder Mann, der etwas Hirn unter seiner Mütze hat, sieht doch, wie wichtig Frauenrechte auch für Männer sind.“ Äußerst mitreißend waren auch die musikalischen Beiträge von Martina Neeschen, die, nur mit Akkordeon und Stimme „bewaffnet“, Kampflieder der Frauenbewegung aus mehreren Jahrhunderten ebenso gekonnt wie emotional, oft aber auch augenzwinkernd-humorvoll vortrug und damit den Saal immer wieder zum Toben, Mitsingen und sogar Walzer tanzen brachte. Einer der Höhepunkte ihrer Darbietungen war ihre ganz eigene Fassung der Europahymne, deren neue letzte Textzeile lautete: „Alle Menschen werden Schwestern – Brüder, ihr seid mitgemeint!“
Markus Ramers, Stellvertretender Landrat Kreis Euskirchen, machte in seiner Ansprache auf sein Unbehagen aufgrund aktueller Entwicklungen aufmerksam: „In den USA wird ein Mann zum Präsidenten gewählt, der sich öffentlich sexistisch und gegenüber Frauen abwertend äußert.“ Umso wichtiger sei es zu zeigen, was Frauen im Kreis Euskirchen so alles leisteten. Dennoch seien Frauen in Führungspositionen immer noch unterrepräsentiert und müssten für die gleichen Positionen oft wesentlich höhere Hürden überwinden als Männer.
Der Saal im Alten Rathaus Euskirchen war bei der Preisverleihung gut gefüllt – überwiegend mit Frauen. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
Horst Belter, stellvertretender Bürgermeister der Stadt Euskirchen, lobte Siegels Einsatz in verschiedensten Bereichen. Holger Schmitz, Fachbereichsleiter Soziales bei der Stadt Mechernich, bemerkte, dass unter den bislang zwölf vom Arbeitskreis Frauen im Kreis Euskirchen ausgezeichneten Frauen allein drei aus dem Stadtgebiet Mechernich stammten.
Laudatorin Isabella Stock, die sich bei der Adheri-Hilfe Bonn für Frauen in Indien einsetzt, sagte: „Brigitte Siegel ist rund 400 Jahre später in die ideellen Fußstapfen Margaretha Linnerys getreten, die um 1600 die erste öffentliche Mädchenschule gründete.“ Siegel selbst sehe sich als Anschieberin, „aber der Rest geschah immer mit anderen zusammen.“
Die 1953 in einem hessischen Dorf Geborene habe früh die Schule verlassen müssen, um im Geschäft der Mutter zu helfen. Der Bildungshunger blieb: Sie absolviert später eine Ausbildung zur Industriekauffrau, besucht die Verwaltungsakademie. Die mittlerweile siebenfache Großmutter und dreifache Urgroßmutter habe sich ab Mitte der 60 Jahre – zunächst in der SPD – frauenpolitisch betätigt. Sie war (Mit-)Begründerin zahlreicher politischer Kampagnen, Zusammenschlüsse und Projekte, gründete in Erftstadt einen Kinderladen, ein Frauenhaus, bot Pannenkurse für Frauen an und schulte sie in handwerklichen Dingen – immer mit großer Geduld, auch wenn mal etwas schiefging, aber immer engagiert und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
Margaretha-Linnery-Preisträgerin Brigitte Siegel (Mitte) wurde von Holger Schmitz (v.l.), Stadt Mechernich, Laudatorin Isabella Stock, Rita Witt, Kreissparkasse Euskirchen, sowie Musikerin Martina Neeschen (v.r.), Markus Ramers, Kreis Euskirchen, und Horst Belter, Stadt Euskirchen, gelobt und geehrt. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
Auch international hilft sie, feministische Frauenprojekte aufzubauen. In ihrem 1986 zusammen mit Marie Sichtermann gegründeten feministischen Beratungsunternehmen „Geld & Rosen“ nutze sie ihr umfassendes Wissen gerade auch über Finanzen, Buchhaltung, Zuschuss- und Vereinsrecht, um Frauen im Kreis Euskirchen, aber auch bundesweit voranzubringen. Dabei vergesse sie auch die Männer nicht, wie sie einmal in ihrer humorigen und oft selbstironischen Art sagte: „Es geht mir letztendlich um die Freiheit eines jeden einzelnen Menschen – natürlich auch die der Männer. Aber ich kann mich schließlich nicht um alles kümmern.“
Siegel machte in ihrem Dankwort deutlich, dass viele an dem großen Projekt Gleichberechtigung auf verschiedene Weise mitwirkten. So lobte sie Rita Witt von der Kreissparkasse für die fortwährende finanzielle Unterstützung, vergaß aber nicht, gleich eine Anregung zu geben: „Wie wir alle wissen, ohne Geld geht nichts. Also schön weiter fördern!“ Den Politikern gab sie auf den Weg, die wichtige Arbeit des Arbeitskreises Frauen im Kreis Euskirchen doch wenigstens einmal mit einer Erwähnung auf dem Internetauftritt des Kreises Euskirchen zu verewigen.
Große Sorge bereite ihr die großpolitische Entwicklung: Ein ungarischer Präsident, der vor Krieg und Verfolgung flüchtende Menschen mit einem Zaun aussperrt, der zu befürchtende Rechtsruck bei den kommenden Wahlen in den Niederlanden, Österreich und Frankreich. Brigitte Siegel: „Der türkische Obermacho will, dass jemand straffrei ausgeht, der eine 17-Jährige vergewaltigt, wenn er sie danach nur heiratet.“ Männer und Frauen seien gemeinsam aufgefordert, dem etwas entgegenzusetzen.
Die Preisträgerin bedankte sich auch bei ihrer Tochter und ihrem Sohn, die beide im Publikum saßen: „Ich bin Emanze, Feministin, Unternehmerin, Lesbe, habe ein Haus gebaut und ein Buch geschrieben. Es war bestimmt nicht immer leicht, meine Lebensentscheidungen mitzutragen – aber das gilt auch umgekehrt….“