Rotarier veranstalteten spektakuläre „Roaring Twenties“-Show

35 Mitglieder und Angehörige sowie Freunde des RC Euskirchen stellten einen Varietéabend im Casino auf die Beine – Rotarier zeigten sich als Komödianten, Tänzer, Sänger und Musiker – Gesamterlös geht an wohltätige Zwecke

Euskirchen – Wer am Samstagabend die großen Flügeltüren zum Casino in Euskirchen öffnete, der hatte das Gefühl, plötzlich in den „Roaring Twenties“ gelandet zu sein. Männer in saubergebürsteten Smokinganzügen oder aufgeblasenen Knickerbockern und engen Jacketts, schwarzglänzenden Schuhen und viel Pomade in den streng nach hinten gekämmten Haaren standen neben Frauen in weit geschnittenen, schulterfreien Hängekleidern im Garçonne-Stil. Einige trugen kecke kleine Hütchen oder Stirnbänder mit Federn. Andere wiederum gaben sich zugeknöpfter in bodenlanger Abendgarderobe. Offensichtlich war alles auf „Zwanziger Jahre“ getrimmt, aber warum?

Der älteste Schauspieler und die jüngste Schauspielerin des Abends: Dr. Reinhold Weitz als Professor Reklam Reinlich und Sophia Züll als gewitztes Kind. Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa

 

Das Warum wurde schnell klar, als sich die illustren Gäste nach und nach als Mitglieder, Freunde und Bekannte des Rotary Clubs Euskirchen erwiesen. Diese waren keineswegs gekommen, um eine karnevalistische Mottoparty zu feiern, sondern um an einem Revueabend teilzunehmen, bei dem sie Gäste und Mitwirkende gleichermaßen waren.

„Wir sind schon ein verrücktes Volk“, meinte Ex-Schulleiter Josef van de Gey, der allerdings kaum wiederzuerkennen war, denn an diesem Abend spielte er den Bestatter Gottfried Nekromansky mit Frack und Zylinder. Nach und nach kam dann ans Licht, dass es sich bei der schrägen Veranstaltung um ein Charityabend handelte, der bei den Euskirchener Rotariern bereits eine gewisse Tradition besitzt. 2015 startete man mit einer Quiz-Show der 1950er Jahre, ein Jahr später nahm man sich die 70er vor. „In diesem Jahr haben wir dann ganz auf das Quiz verzichtet und uns zu einer Revue entschlossen“, berichtete die Schriftstellerin Viola Alvarez, die an diesem Abend mit täuschend echtem russischen Akzent Anastasia Ivanowa mimte, eine aus St. Petersburg geflüchtete Impresaria, die sich dem Suff ergeben hatte. Aber mehr noch: Alvarez war auch Initiatorin, Autorin und Regisseurin der schrägen Show.

Daniela Züll brachte als Tanzlehrerein Hilde Greven Johnny Silencio (Dario Corradini) in Bedrängnis. Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa

 

Außer den professionellen Musikern vom „Ballroom Sündikat“ aus Köln mit seiner Sängerin Lena Helmer, und Dawn Flynn, bekannt vom Duo „Diva Delight“, stehen an diesem Abend einzig Laienschauspieler auf der Bühne. Ob Gesang, Tanz, Rezitation oder Bühnendialog, nichts scheint den Mitgliedern des Rotary Clubs Euskirchen zu schwer zu sein.

Viola Alvarez hat offensichtlich ein Händchen dafür, Menschen zu motivieren, über sich selbst hinauszuwachsen und in eine andere Rolle zu schlüpfen. „Das Geheimnis ist, dass man jeden auf der Bühne eine gute Erfahrung machen lassen muss“, verrät sie. Das klingt leichter als es ist, denn damit jemand seine Rolle wirklich überzeugend spielt, investierte Viola Alvarez im Vorfeld enorm viel Zeit. Da sie selbst schon beim Theater gearbeitet hat, kennt sie sich allerdings gut mit der Materie aus. Dennoch hatte sie nur ein knappes Jahr, um die Leute für die Bühne vorzubereiten.

„Mit engelsgleicher Geduld und nicht nachlassender Energie hat Frau Alvarez die schauspielerischen und musikalischen Begabungen einer Schar von über 20 rotarischen Künstlern durch harte Probenarbeit gefördert und gefördert und gefördert …“, schwärmt auch der Präsident des Clubs, Matthias Bungart, der den Abend darüber hinaus als einen Höhepunkt in seiner Amtszeit wertet.

 

Lotte Pallmann (Lena Helmer, l.) setzt alle Hebel in Bewegung, um das Varieté von Anastasia Iwanova (Viola Alvarez, r.) am Leben zu erhalten. Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa
 

 

Dann aber geht’s los: In der Rahmengeschichte möchte die Berliner Straßensängerin Lotte Pallmann (Lena Helmer) das von der Schließung bedrohte Varieté „Goldene Rübe“ für ihre unglücklich verliebte Freundin, die einstige erfolgreiche russische Revueintendantin Anastasia Iwanova (Viola Alvarez), wiederbeleben und vor dem Ruin retten. Aus diesem Grund hat sie für den Abend ein öffentliches Vorsprechen ausgerufen. Der Gag: Alle, die sich für das Varieté bewerben, sitzen bereits unter den Zuschauern.

Mit einer musikalischen Slapsticknummer eröffnen drei „Bühnenarbeiter“ (Dr. Ludwig Veltmann, Christoph Wagner-Gillen, Dr. Thomas Weinberger) den Abend. Der Aufbau einer Stehleiter birgt dabei einiges an Gefahren und noch mehr an humoristischem Potenzial. In Cargo-Boxen wird schließlich das komplette Orchester von den Bühnenarbeitern „angeliefert“. Schließlich aber heißt es „Bühne frei!“ für die Anwärter.

Der Starke Waldemar (Norbert Golz) konnte auch singen. Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa

 

Was folgt ist ein herrliches abendfüllendes Spektakel aus Evergreens, Klassikern, Komik, Akrobatik, Tanz, Gesang, Slapstick und Wortwitz. Der Starke Waldemar (Dr. Norbert Golz) beispielsweise schwingt nicht nur die Keulen, sondern lässt sich auch zu einem schmachtenden Liedchen hinreißen. Stehgeigerin Carlotta Corradini begleitet kongenial mit melodischen und schrägen Tönen die tragische Liebesgeschichte der Anastasia Iwanova. Stummfilmstar Johnny Silencio (Dario Corradini) hat gleich mehrere Auftritte als Sänger, Tänzer und Dadaist. Charlotte Knapp-Klein (Kalika Wagner-Gillen) legt eine Chaplin-Nummer aufs Parkett, die die Zuschauer von den Stühlen reißt. Professor Reklam Reinlich (Dr. Reinhold Weitz) berichtet von seinem Lebenskampf für die Reformpädagogik und möchte das Niveau der Show heben, indem er beispielsweise Frau Iwanovas falsche Grammatik mit dem Ausruf „Akkusativ!“ rügt, woraufhin die Russin die Bedienung anbellt: „Akkusativ! Einen doppelten. Geht aufs Haus!“

Mit „Mein kleiner grüner Kaktus“ boten die Rotarian Harmonists einen Klassiker der 20er Jahre. Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa

 

Der Professor hat schließlich noch seine freiwillige Lerngruppe mitgebracht. Ein Männerchor unter der Leitung von Adalbert Artiger (Mario Züll), dem auch so gewichtige Stimmen wie die von Norbert Neuens und Rainer Frontzek angehören. Auf dem Cello wird der Chor von Hausmeister Marek Kaczmarek (Paul Georg Neft) begleitet, während man Klassiker wie „Mein kleiner grüner Kaktus“ zum Besten gibt.

So geht das nahtlos weiter, und man kann unmöglich alle Darsteller des munteren bis spät in die Nacht anhaltenden Treibens erwähnen, obwohl alle erwähnenswert wären: Zum Beispiel Telefonistin Marleen Wütrich (Dawn Marie Flynn), die selber keinen Anschluss findet, obwohl sie doch „von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ ist, was sie dem Publikum auch hinreißend zu vermitteln weiß. Der somnambule Regierungsrat Fürchtegott Lange (Dr. Hubertus Rüber), der sich beim Anblick seiner fiktiven Gattin in seinem ästhetischen Empfinden verletzt fühlt. Dr. Gottfried Nekromansky (Josef van de Gey), der singend zu berichten weiß: „Die Statistik zeigt’s dem Kenner, es gibt mehr Frauen als Männer.“ Und der daher den Rat erteilt, doch lieber gleich einen alten Mann zu heiraten. „Hat er auch `n Doppelkinn, gut, dann greift man doppelt hin!“

Natürlich darf in den „Zwanzigern“ auch die Politik nicht zu kurz kommen. Die Erz-Kommunistin Elisabeth Pachulke (Dr. Elisabeth Irmen-Ernst) predigt den Klassenkampf mit Cocktails, um die Mitgliederzahl zu steigern und scheint auch ansonsten den Segnungen des Kapitalismus nicht abgeneigt. So verrät sie, dass am Sonntag ihr Liebster mit ihr segeln gehen möchte.

Meta Lange (Jule Rüber) machte als „Femme fatale“ von sich reden. Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa

 

Meta Lange (Jule Rüber) gibt die „Femme fatale“. Markus Ernst protestiert als Hermann Josef gegen die sittenlosen Vergnügungsstätten. Fräulein Doris (Doris Oedekoven) entdeckt als biedere Varieté-Sekretärin noch eine ganz unerwartete Seite an sich. Dr. Servatius Bueckling (Marc Lehmann) offenbart, dass auch seine Manierismen Manieren haben. Matthias Bungart gibt sich als Buchhalter Herr Bungart kompromisslos, wenn es um den wachsenden Schuldenberg der „Goldenen Rübe“ geht. Hilde Greven (Daniela Züll) präsentiert einen wilden Showtanz mit viel Beinakrobatik (zum Glück ist sie ja im wahren Leben Physiotherapeutin.) Die „Liga gegen Unzucht, Unmoral und Unterhaltung“ (Rosemarie Bitterberg, Eva Deinhard, Mariele Köhler, Ilka Nieuwenhuis und Mechtild Stuchtey) machen derweil der „Goldenen Rübe“ das Leben schwer. Sogar ein Mister Trump, der gerade nach Übersee zur Karriere reist, fehlt an diesem Abend nicht. Selbst die Kinder der Rotarier sind an diesem Abend im Volleinsatz, ob als Schauspieler, Tänzer, Zeitungsverkäufer oder Bedienung. Nachwuchstalent Lucky Lou (Louisa Alvarez) beispielsweise beschließt Showgirl in der „Rübe“ zu werden und überzeugt durch ihre tänzerischen Fähigkeiten, Sophia Züll, die Jüngste unter den Darstellerinnen, bringt die Zuschauer als „gewitztes Kind“ zum Lachen.

Am Ende der Veranstaltung konnten sich alle Akteure und das Publikum über einen gelungenen Abend freuen. Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa

 

Auch das Büffet an diesem Abend wurde von den Rotarier-Mitgliedern gestiftet. Der Gesamterlös der Show und sämtliche Spenden gehen dabei an einen guten Zweck. Zum einen werden damit die Pfadfinder aus Euskirchen unterstützt, die sich gleich revanchierten und an diesem Abend den Garderobendienst übernahmen, zum anderen kommen die Spenden Kindern zugute, die an Krebs erkrankt sind.

 

Eifeler Presse Agentur/epa