Reinhold Weitz: „Die Tragödien dürfen nicht vergessen werden“

Franz Albert Heinens neues Buch zur Zwangsarbeit im Kreis Schleiden 1939-1945 wurde erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt – Euskirchener Historiker und langjähriger früherer Vorsitzender des Kreisgeschichts-vereins nahm erste Einordnung der Forschungsergebnisse vor – Günstige Buchkosten durch Sponsoring der Kreissparkasse Euskirchen

 

Schleiden – Es gibt Bücher, von denen man sich wünscht, dass sie nicht unbedingt nötig gewesen wären: So ein Buch ist Franz Albert Heinens „Abgang durch Tod“, in dem akribisch die Zwangsarbeit im Kreis Schleiden während des Zweiten Weltkriegs aufgearbeitet wird. Jetzt wurde das Buch erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Dazu waren am vergangenen Sonntag rund 100 interessierte Menschen in das Städtische Johannes-Sturmius-Gymnasium nach Schleiden gekommen, wo der Euskirchener Historiker und langjährige frühere Vorsitzende des Kreisgeschichtsvereins, Dr. Reinhold Weitz, eine erste Einordnung von Heinens Forschungsergebnissen vornahm.

Dr. Reinhold Weitz ordnete das Buch „Abgang durch Tod“ nicht nur in den Kontext der Forschungsliteratur zum Dritten Reich ein, sondern stellte auch erste Überlegungen zu einer angemessenen Erinnerungskultur an. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epaDr. Reinhold Weitz ordnete das Buch „Abgang durch Tod“ nicht nur in den Kontext der Forschungsliteratur zum Dritten Reich ein, sondern stellte auch erste Überlegungen zu einer angemessenen Erinnerungskultur an. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa

 

 

Ausgehend von der Frage, ob es nicht schon genug Bücher zum Dritten Reich gebe, sagte Weitz, dass man nach der Lektüre von „Abgang durch Tod“ dem Autor zustimmen müsse, dass man noch immer nicht genügend wisse. Die Zwangsarbeit im Kreis Schleiden sei eines der wenig bekannten Kapitel der Kriegsjahre. Das dürfe nicht so bleiben, so der Historiker. Als gelernter Journalist verstehe Franz Albert Heinen sein Handwerk, da gebe es im Buch zugespitzte Formulierungen und es werde etwas bildlich auf den Punkt gebracht, „aber es geht um mehr als nur um die Suche nach Schlagzeilen und einer Story. Hinter der investigativen Arbeit steht das Bemühen um historische Objektivität sowie sachliche und differenzierte Darstellung.“ Weitz empfahl daher, selbst die Anmerkungen im Buch, die man als Leser gerne meide, mitzulesen, da sie oft genau so ergiebig seien wie der Haupttext.

Heinens Buch sei eine Gesamtdarstellung, die problemorientierte Untersuchung und Nachschlagewerk in einem sei. Dabei habe der Autor auch ein klares didaktisches und aufklärerisches Anliegen. Die Arbeit habe ihre besonderen Verdienste dort, wo sie dem Alltag der Fremdarbeiter im Einzelnen nachgehe. Heinen lasse Zwangsarbeit als ökonomisches System erkennen und bringe in den Blick, wie Zwangsarbeiter beschäftigt wurden, wie sie entlohnt wurden und vor allem, wer ihre Arbeitgeber waren.

„Was der Autor hier zusammengetragen hat, ist detailgenau und wirklich lesenswert“, so Weitz, der besonders auf das Barackenlager für Russen in Hollerath verwies: „Von Nahrungsmittelentzug und Hungertoten, von Stockschlägen bis hin zu Prügelorgien, von Schussverletzten und einem Massengrab ist in der mündlichen Überlieferung die Rede“, berichtete er. Und: „Was Augenzeugen über öffentliche Hinrichtungen zum Beispiel in Lommersdorf wiedergeben und der Autor aus Gerichtsquellen zusammenträgt, zählt mit zu den erschütterndsten Passagen in diesem Buch.“

Der Autor Franz Albert Heinen appellierte an Politik du Gesellschaft, über ein angemessenes und zeitgemäßes Gedenken an die Opfer der Zwangsarbeit nachzudenken. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epaDer Autor Franz Albert Heinen appellierte an Politik du Gesellschaft, über ein angemessenes und zeitgemäßes Gedenken an die Opfer der Zwangsarbeit nachzudenken. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa

 

 

Für die heutige Generation sei die moralische Frage vielfach die Hauptfrage, wenn es um eine Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit gehe. Weitz betonte, dass man der Frage nach dem angemessenen Umgang mit der Erinnerung an die Zwangsarbeit nicht ausweichen dürfe. „Die Tragödien dürfen nicht vergessen werden“, so Weitz. Wichtig sei es jedoch, den Geschehnissen und Vorkommnissen in einem größeren historischen Rahmen nachzugehen. „Das Gedenken muss die unterschiedlichen Seiten in den Blick nehmen und grenz- und epochenübergreifend sein. Nur eine einfühlende, mehrperspektivische Darstellung kommt der Wirklichkeit und damit Wahrheit nahe.“ Nur sie schütze vor falsche Helden und vor einer Mythenbildung. Ein moralisches Urteil könne leicht zu einem bloßen Ritual werden. „Nur wer genau hinsieht, wer genau festhält, was geschehen ist, leistet wirkliche Gefahrenprävention. Franz Albert Heinens Arbeit zähle ich dazu“, so Weitz abschließend.

Der Autor selber bedankte sich im Anschluss vor allem bei den zahlreichen Zeitzeugen. „Besuche, bei denen, die etwas zum Thema erzählen konnten, waren für mich häufig Sternstunden der Erkenntnis“, sagte er. Ein besonderer Dank ging auch an die Kreissparkasse Euskirchen, vor allem an die Direktorin des Vorstandsstabs, Rita Witt, bei der Heinen mit seinem Buchprojekt offene Türen eingerannt habe. „Dank der Förderung durch die KSK konnte der Preis des Buches so radikal gesenkt werden, dass es eigentlich für jeden erschwinglich sein sollte“, so Heinen.

Der Historiker Dr. Reinhold Weitz (v.l.) stellte das neue Buch von Franz Albert Heinen der Öffentlichkeit vor. Rita Witt, Direktorin des KSK-Vorstandsstabs, hatte sich für eine finanzielle Förderung des Projekts eingesetzt. Rechts: Siegfried Scholzen, der Vorsitzende des Geschichtsforums Schleiden. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epaDer Historiker Dr. Reinhold Weitz (v.l.) stellte das neue Buch von Franz Albert Heinen der Öffentlichkeit vor. Rita Witt, Direktorin des KSK-Vorstandsstabs, hatte sich für eine finanzielle Förderung des Projekts eingesetzt. Rechts: Siegfried Scholzen, der Vorsitzende des Geschichtsforums Schleiden. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa

 

 

Der Autor verband die Buchvorstellung mit dem Appell an die Politik und die Gesellschaft der Region, sich endlich zu diesem düsteren Kapitel der Regionalgeschichte zu bekennen und ein würdiges Gedenken an die vielen polnischen und osteuropäischen Opfer so selbstverständlich werden zu lassen, wie das im Hinblick auf andere Gruppen längst der Fall sei. Außer der Arbeit einiger Privatinitiativen habe es bisher kein öffentliches Erinnern im Südkreis gegeben, auch im Nordkreis sei dies eher spärlich.

„Von hier und heute soll daher der Ruf in die Region ausgehen, 75 Jahre nach dem Geschehen in Überlegungen einzutreten, wo und wie und in welchen denkbaren Formen ein angemessenes und zeitgemäßes Gedenken an die Opfer der Zwangsarbeit etabliert werden kann“, so Heinen, und regte auch an, sich im Kreistag mit diesem Thema zu beschäftigen.

Zahlreiche Besucher nutzten die Gelegenheit, noch vor Ort ein Buch beim Geschichtsforum Schleiden zu erwerben und es von Franz Albert Heinen signieren zu lassen. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epaZahlreiche Besucher nutzten die Gelegenheit, noch vor Ort ein Buch beim Geschichtsforum Schleiden zu erwerben und es von Franz Albert Heinen signieren zu lassen. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa

 

 

Eine deutliche Absage erteilte er dabei gleich zu Beginn der Idee, dieses Erinnern könne auf Vogelsang stattfinden. „Genau da gehört es nicht hin, sondern es gehört dahin, wo die Zwangsarbeiter auch gestorben sind -und das war in der Fläche unseres Kreisgebietes.“ Somit gehöre ein solches Erinnerungsmal, wie immer es aussehe, auch mitten in die Gesellschaft, also im Zweifel sogar mitten auf den Marktplatz, forderte Heinen.

Gleichzeitig appellierte er daran, das Thema Zwangsarbeit in den Rheinischen Forstwirtschaftsbetrieben aufzuarbeiten. In deren Eigendarstellung sei das Thema bislang noch immer ein „weißer Fleck“. „Es stünde dem zuständigen Fachministerium in Düsseldorf daher gut zu Gesicht, sich endlich auch zu diesem Kapitel der eigenen Geschichte zu bekennen“, so Heinen abschließend.

Franz Albert Heinen: „Abgang durch Tod“. Zwangsarbeit im Kreis Schleiden 1939-1945. Hrsg. vom Geschichtsforum Schleiden e.V. 476 Seiten, DIN-A-5, Hardcover. 14,80 €. ISBN 978-3-00-059006-1.

Das Buch ist ab sofort im regionalen Buchhandel oder online beim Geschichtsforum Schleiden gegen Vorkasse erhältlich: www.publikationen.gf-sle.de

 

Eifeler Presse Agentur/epa