„Handwerk ist mehr als schmutzige Hände, Brotdosen und Feierabendbier“

Das Unternehmerfrühstück „viertelvoracht“ besuchte das Familienunternehmen Sahm Bedachungen in Weilerswist – Anna-Sophia Sahm hat in einer Männerdomäne Fuß gefasst und stellte den Familienbetrieb in vierter Generation vor
Weilerswist – Das Besondere beim Unternehmerfrühstück „viertelvoracht“, einer Partnerinitiative der Kreiswirtschaftsförderung und der Kreissparkasse Euskirchen (KSK), ist der bunte Mix der gastgebenden Unternehmen. Diesmal trafen sich die Unternehmerinnen und Unternehmer bei einem Familienbetrieb, der in diesem Jahr seinen 101. Geburtstag feiern kann: die Sahm Bedachungen GmbH in Weilerswist.

Die Dachdeckermeisterin Anna-Sophia Sahm arbeitet am liebsten mit Schiefer. Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa
„Die Firma kann mittlerweile auf vier Generationen zurückblicken und ist ein schönes Beispiel für Familientradition, soziale Verantwortung und Innovation“, begrüßte Landrat Markus Ramers die zahlreichen Gäste auf dem Innenhof des Unternehmens. Ramers lobte besonders die Inklusionsfähigkeit des Betriebs: „Menschen mit nur wenig Deutschkenntnissen kamen hierher und wurden sogleich bestens unterstützt.“ Doch das eigentlich Besondere bei der Firma Sahm sei, dass hier nicht nur zwei Frauen aufs Dach gestiegen, sondern auch Führungsrollen übernommen hätten.
KSK-Vorstandsmitglied Holger Glück erinnerte sich, 2024 im Radio einmal ein Interview mit Anna-Sophia Sahm gehört zu haben. „Ich hörte eine sympathische und emphatische junge Frau, die aufgeräumt und reflektiert über das Dachdeckerhandwerk sprach.“ Das habe ihn dann so fasziniert, dass er direkt die Idee zu einem Unternehmerfrühstück bei Sahm in Weilerswist gehabt habe. Auf der 100-Jahrfeier der Firma habe er dann noch erfahren, dass die Mutter, Anita Sahm, mit 23 Jahren die jüngste und auch einzige Dachdeckermeisterin Deutschlands in den 1970er Jahren gewesen sei. Soviel Frauenpower habe ihn schlichtweg beeindruckt.

Die Teilnehmer von „viertelvoracht“ durften auch einmal selbst ausprobieren, wie schwer es ist, einen Schieferstein in Form zu bringen. Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa
Anna-Sophia Sahm berichtete, dass sich in ihrem Unternehmen alles um Dächer drehe, vom Stalldach, Flachdach, Kirchendach bis zum Neubau- oder Sanierungsbereich. Darüber lege man Gründächer an, sei Experte für Entwässerungstechnik, baue Dachfenster ein und aus und verkleide Fassaden. „Derzeit beschäftigen wir neun Mitarbeiter. Besonders stolz sind wir auf einige historische Objekte, die wir betreuen dürfe, wie beispielsweise Kirchen oder eine Wasserburg“, so Sahm.
Seit vergangenem Jahr verfüge man über einen modernen Anhängerkran, der die Arbeit wesentlich erleichtere. Andererseits arbeite man noch immer mit Kantbänken, Schneidmaschinen und anderen Werkzeugen, die bereits der Großvater angeschafft habe. „Im Sinne der Nachhaltigkeit ist es uns wichtig, funktionstüchtiges altes Werkzeug zu erhalten und dennoch Schritt für Schritt mit der Zeit zu gehen“, so Anna-Sophia Sahm.

Auf dem Gelände in Weilerswist, direkt im Kernort an der Kölner Straße, befindet sich die Sahm-Bedachung bereits seit 101 Jahren. „Wir waren nie woanders“, so die junge Geschäftsführerin, „Leben und Arbeiten wurde hier schon Generationen vor mir vereint.“ 1924 gründete Josef Sahm den Betrieb. Sein Sohn Peter führte das Unternehmen ab Mitte der 1950er Jahre weiter. Dessen einziger Sohn Josef verstarb bereits im Alter von drei Monaten. Danach folgten noch drei Töchter. Doch es schien zu der Zeit unvorstellbar, dass eines der Mädchen das Unternehmen einmal weiterführen würde. Aber Tochter Anita stellte sich mutig dem Zeitgeist entgegen und lernte den Beruf des Dachdeckers, was in den 1970er Jahren schon allein deshalb schwierig war, da es ein gesetzliches Verbot gab, als Frau im Bauhandwerk tätig zu sein und dies nur unter besonderen Bedingungen möglich war. So lautete die erste Ansprache von Anita Sahms Lehrmeisters denn auch: „Wat mät de Frau he? De jehört hinge de Kochpott.“
Zunächst Germanistik studiert
1979 legte Anita Sahm die Meisterprüfung ab, wo sie sich in ihren Dozenten „verguckte“, den Vater von Anna-Sophia Sahm, Hans Paffrath-Sahm. Noch vor zehn Jahren hätte es sich Anna-Sophia Sahm selber nicht vorstellen können, es ihrer Mutter einmal gleich zu tun und Dachdeckermeisterin zu werden. „Ich studierte zunächst Germanistik, brach aber rasch wieder ab, danach folgte ein Duales Studium Internationales Handelsmanagement, daraufhin war ich einige Jahre in verschiedenen Positionen tätig, zum Beispiel als Assistentin der Geschäftsleitung. Doch schließlich führte mich der Weg zurück ins elterliche Unternehmen, zunächst nur ins Büro als Aushilfe und schließlich ins Handwerk.“ Dort habe sie gelernt, dass es sehr befriedigend sein könne, etwas zu schaffen, was bleibe. Besonders für das Arbeiten mit Schiefer habe sie ein gutes Händchen gehabt, wie bereits ihr Vater und Großvater.

KSK-Vorstandsmitglied Holger Glück brachte seine erste Schieferplatte in Form. Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa
In ihrem Impulsvertrag „Gleichberechtigung und Gendern im Handwerk“ ließ Anna-Sophia Sahm sehr deutlich werden, dass man ihrer Meinung nach nicht zu gendern brauche. Weitaus hilfreicher sei es, wenn man, anstatt die Sprache zu beugen, bis sich vermeintlich alle erwähnt fühlen, einfach Emanzipation und Gleichberechtigung im Beruf lebe. Dass heute noch immer so wenige Frauen im Handwerk zu finden seien, sei einem langjährigen Versagen von Politik und Schule geschuldet. Denn gut ausgebildete Schülerinnen und Schüler, so der allgemeine Tenor, müssten selbstverständlich studieren, um als wirtschaftliche Eliten dem Land zu dienen. Dabei würden die geistigen und kognitiven Anforderungen in der Handwerksbranche komplett ausgeblendet. „Handwerk ist mehr als schmutzige Hände, Brotdosen und Feierabendbier“, so Sahm. „Allein im Dachdeckerhandwerk müssen wir auch Statiker, Mathematiker, Physiker, Chemiker, Logistiker, Planer, Sicherheitsfachkräfte, Verkäufer, Klimaschützer und ganz nebenbei auch stolze Handwerker sein.“
Sie selber habe auch zunächst nie darüber nachgedacht, ins Handwerk zu gehen. Aber man könne alles lernen. Und man müsse vor allem Mädchen mehr zutrauen, zumal heute das Argument, dass man im Handwerk stark sein müsse, aufgrund der technischen Hilfsmittel nicht mehr zähle.
Was zählt, ist das Gesamtwerk
Auch aus Arbeitgebersicht sei es herausfordernd, eine Frau im Bauhandwerk einzustellen. Denn an jeder Baustelle müssten beispielsweise zwei Toiletten aufgebaut werden. „Das sind pro Bauprojekt 500 Euro mehr, die kein Bauherr zahlen will. Wir reden von Gleichberechtigung, leben sie aber nicht“, so Sahm. Stattdessen definiere man Gleichberechtigung, Vielfalt und Emanzipation darüber, wie man die deutsche Sprache mit unaussprechlichen Endungen versehe. Denn jeder wolle sich irgendwo wiederfinden, da keiner mehr mit dem, was er ist und darstelle, zufrieden sei.

Vertreterinnen und Vertreter der Kreiswirtschaftsförderung und der Kreissparkasse Euskirchen freuten sich gemeinsam mit dem Familienbetrieb Sahm in Weilerswist über ein gelungenes Unternehmerfrühstück. Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa
Das Gendern lehnte die junge Handwerksmeisterin daher entschieden ab. Stattdessen forderte sie mehr berufliche Wahlmöglichkeiten und Optionen für alle, auch für Männer. „Im Handwerk lernen, machen und bauen wir alle das Gleiche, und wir sind alle das Gleiche, wir sind Dachdecker“, sagte Anna-Sophia Sahm selbstbewusst. Sie habe auch keinen Meisterinnenbrief, sondern einen Meisterbrief. Ihre Arbeit in einer Männerdomäne sei daher gelebte Emanzipation, nämlich Arbeit im Team, wo der eine vielleicht mehr seine Kraft und der andere mehr seinen Blick fürs Detail in die Waagschale werfe. Was zähle, sei jedoch das Gesamtwerk.
Die Referentin erhielt von allen Seiten viel Zuspruch für ihren Vortrag. Anschließend hatten die Gäste die Gelegenheit, sich einmal selbst im Handwerk auszuprobieren und beispielsweise Schieferplatten zu behauen oder Bleche abzukanten, wobei mancher Schreibtischarbeiter allerdings rasch an seine Grenzen stieß.
Geplant und organisiert worden war das Unternehmerfrühstück vom bewährten viertelvoracht-Team: der Leiterin der Stabsstelle Struktur- und Wirtschaftsförderung, Iris Poth, ihrer Kollegin Alina Kramer sowie Alexandra Bennau vom S-Gewerbekundencenter und Rainer Santema, Leiter S-Firmenkundencenter.
Eifeler Presse Agentur